theodorakis trio programmnotizen


Programmnotizen – Kammermusik aus 5 Jahrzehnten und Lieder ohne Worte

Fünfundzwanzig Jahre, nachdem die Zweite Symphonie im Rahmen des Festivals von Echternach (Luxemburg) aufgeführt wurde und ich geschrieben hatte, Theodorakis sei der „Verkannteste der großen Komponisten“, bleibt diese Behauptung immer noch wahr. Sie bleibt es um so mehr, als sein Werk sich inzwischen noch enorm erweitert und diversifiziert hat: Es sei hier nur an die Symphonien 3, 4, 7, die Oratorien „Sadduzäerpassion“, „Liturgie für Kinder, in Kriegen getötet“, „Canto General“ und „Canto Olympico“, die Rhapsodien für Gitarre und für Cello, sowie die fünf Opern: „Karyotakis“, „Medea“, „Elektra“, „Antigone“ und „Lysistrata“ erinnert, ohne von den unzähligen Liedern zu sprechen, die Theodorakis in den letzten Jahrzehnten schrieb.

An welcher Elle demnach Theodorakis’ Kammermusik messen, die eine wesentliche Rolle in seinem frühen Schaffen spielte und zahlreiche spätere Kompositionen inspirierte oder beeinflusste?

Man muss zuerst dabei im Auge behalten, dass fast alle Kammermusikwerke zwischen 1944 und 1959 entstanden, demnach zwischen der Aufnahme am Athener Konservatorium und dem Abschluss der Studien am Pariser Conservatoire. Man muss zudem bedenken, was Theodorakis in diesen fünfzehn Jahren an Leiderfahrung zustieß: Bürgerkrieg in der griechischen Hauptstadt, Verfolgung, Verhaftung und zweifache Deportation nach Ikaria, die Hölle von Makronissos, wo Theodorakis entsetzlich gefoltert und zweimal lebendig begraben wurde, die Entdeckung Kretas als Insel seiner Väter.

Was nun seinen über fünfjährigen Aufenthalt in Paris betrifft (1954-1959), so war er für ihn stets mit dem Gefühl verbunden, ein „Ausländer“ an der hohen Schule zu sein, zumal seine Mitschüler, unter ihnen auch Pierre Boulez, durch den Impuls von Lehrmeister Olivier Messiaen, den Weg einer radikalen Trennung vom Zuhörer beschritten. Für Theodorakis hingegen, war und blieb die Musik das ideale Verständigungsmittel, das ihm erlauben würde, seine Gedanken, Überlegungen und Gefühle mit andern auszutauschen.

Damals hatte Theodorakis nur seine Haut zu verteidigen, konnte sich auf Weniges beschränken und musste sich mit noch weniger begnügen, … also auch mit wenigen Instrumenten, dem Klavier, zum Beispiel, das ihm erlaubte, im wahren Sinn des Wortes, „seine Tonleitern zu praktizieren und seine Übungen zu machen“.

In dieser Hinsicht sind die „Präludien“ von 1947 bedeutsam. Theodorakis erreicht in ihnen eine extreme Konzentration und hat dazu gesagt: „Wenn man dieses Werk heute hört, und wenn man sich bemüht, es ins Athen von 1947 zurückzuversetzen, begreift man, wie tragisch allein ich damals war.”

Nicht weniger bedeutsam sind das „Andante” und die „Elegie Nr.1“ für Cello und Klavier, die Theodorakis beide 1945 in Athen komponierte und die im Kern bereits alles enthalten, was den außergewöhnlichen Schöpfer später charakterisieren wird: seine angeborene Fähigkeit, Melodien zu schaffen, seine starke Expressivität, sein ausgeprägter Sinn für Rhythmen und eine Art von Traurigkeit, so als ob Mikis der Einsame beim Komponieren bereits an die schrecklichen Prüfungen gedacht hätte, die er erleiden sollte.

Mehr als vierzig Jahre später, wird sich Theodorakis zum ersten Mal in seinem Leben systematisch mit den „türkischen Tonleitern“ beschäftigen, – einer Ausarbeitung der alten griechischen Skalen, die nach Griechenland zurückgekehrt waren. Diese Skalen gehen in eine ganze Reihe von Liedern („Asikiko Poulaki“), aber auch in die „Choros Asikikos“ (galante Tänze) ein, die Jens Naumilkat arrangiert hat.

Da die drei Musiker dieses Abends alle ebenfalls Komponisten und Arrangeure sind, bringen sie zusätzlich eine Reihe bekannter Melodien von Theodorakis in persönlichen Arrangements zur Aufführung, die den typischen Liedcharakter der Vokalmusik von Theodorakis bestens erkennen lassen.

Beim Anhören dieser Lieder bleibt kein Zweifel übrig, dass Mikis Theodorakis ein direkter Nachkomme von Franz Schubert ist.

Guy Wagner