ta tam....


ta tam… “Ena, dio, tria…”. Stille. Sein Blick ruht auf mir, ein bißchen erstaunt, dass die Einleitung des Klaviers nicht wie erwartet einsetzt. Dann versteht er, lächelt und singt einfach mit geschlossenen Augen “Afti pou tharthoun”. Ich sitze am Klavier. Die erste Probe für eine Konzerttournee und meine erste Begegnung mit dem großen Griechen. Ich verstehe kein Wort griechisch, aber Mikis macht es mir leicht- er singt und dirigiert mit großen Gesten; ich brauche nur zu folgen. Es ist ein Privileg der Musik, über Sprachgrenzen hinweg ein tieferes Verständnis zu ermöglichen. Für Mikis`Musik gilt das in besonders hohem Maße, denn er hat etwas mitzuteilen, hellwach mit geschlossenen Augen! Fünfzehn Jahre und viel Konzerte in aller Welt später, nach CD-Produktionen, Opern- und sinfonischen Konzerten, denke ich zurück. Wie kommt es, dass die Begegnung mit Theodorakis für mich eine so große Bedeutung hat? Ich glaube, dass die Menschen an der Kunst und besonders an der Musik die Perfektion, das Artistische bewundern und sich an handwerklicher Brillanz erfreuen können. was sie aber verehren, sind Aura, Schönheit, Kreativität, Talent, inspiration – Dinge also, die sich schwer messen lassen und die Einzelne zunächst scheinbar geschenkt bekommen. Dieses Geschenk birgt jedoch eine Herausforderung – wenn man so will, eine Bürde. Im Fall von Mikis, der in höchstem Maße inspiriert und vielseitig begabt ist, gebildet und wissenshungrig, dessen Talente so breit gestreut sind und der sich dessen bewußt ist, ist die Bürde besonders groß. Gerade der kreative Schaffensprozeß ist dem schmerzhaften Geburtsvorgang sehr verwandt. Je höher das kreative Risiko, desto höher der künstlerische Ertrag – desto schmerzhafter aber auch das Scheitern. Mikis lebt mit vollem Einsatz, als Künstler und als Bürger seiner Polis. Theodorakis ist als Musiker und Komponist ein Monolith, eine einzigartige Erscheinung – nicht nur in der griechischen Kulturlandschaft. obwohl man seine künstlerischen Wurzeln benennen und analysieren kann und er sich bewußt den unterschiedlichen Traditionen stellt, ist das Ergebnis unikal. Seine gesamte Musik ist durchdrungen vom Theodorakisschen Geist; ist immer zutiefst inspiriert und der künstlerischen Wahrheit verpflichtet. Dabei bleibt manches Fragment, scheinbar widersprüchlich. Theodoraksi selbst hat allerdings immer wieder auf die Einheit seiner Musik hingewiesen. Seien es Oratorien, Symphonien, lieder oder Ballettmusiken – stets ist der Fingerabdruck des Komponisten, ist sein Siegel zu finden: das Motiv. Geschult in der Kompositionsklasse Messians und vertraut mit zeitgenössischen Kompositionstechniken, hat Theodorakis sich dennoch immer auch in der Tradition eines Mozart und natürlich des Lieder Königs Schubert gesehen. Seine künstlerische Attitüde stand Mitte des 20. Jahrhunderts damit gegen den Zeitgeist der zeitgenössischen Musik Mitteleuropas, die sich bewußt an einem intellektuellen und elitären Kompsitionideal orientierte – Musik weit weg von der Volksmusik, die der Romantik noch als Quelle diente. Theodorakis`Versuch, über die Musik eine neue griechische Identität zu stiften, ist spektakulär und gelungen, denn viel seiner Melodien sind echte Volkslieder geworden, sind Teil eines neuen griechischen Selbstbewußtseins, einer geglückten Symbiose aus der besten Lyrik Griechenlands und Melodien, deren Kraft sich aus vielen, teilweise uralten Quellen speist: die Musik des alten Byzanz, antiuke Skalen, die über den Umweg des Osmanischen Reiches wieder nach Griechenland gelangten. Vergleichbar ist Theodorakis`Versuch einer nationalen musikalischen und gesellschaftlichen Erneuerung vielleicht der romantischen Nationaloper des 19. Jahrhunderts in vielen Ländern Europas, z.B. durch Weber, Smetana, Moniuszko, Verdi und andere.

Die rote Studiolampe leuchtet noch. das Cello spielt die Schlussphrase und verharrt auf dem Durakkord des Klaviers, das Saxofon antwortet mit einem hohen “f”, in der Stille des Liedausklangs ist deutlich das Aufflammen eines Streichholzes zu hören. Mikis, mit seiner Leistung als Sänger offensichtlich zufrieden, gnehmigt sich bereits eine Zigarre. Die Aufnahme für die CD “First songs”, die dieser Tage erscheint – mit frühen Liedern von Mikis, jetzt gesungen von ihm selbst, von Maria Farantouri und anderen-, diese Aufnahmen standen unter einem guten Stern. Die Themen des 14-17 jährigen Mikis weisen bereits alle
charakteristischen Stärken des reifen Komponisten auf. Ein Kreis schließt sich. Mikis`Musik ist von unzähligen Interpreten gesungen, gespielt und neu arrangiert worden. Das Repertoire kann stilistisch kaum breiter gefächert sein. Sinfoniusche Musik, Rock, Pop, Lied, Kammermusik, leichte Musik, Oper, Jass, Soul – es ist ein sicheres Zeichen für
große Kunst, dass sie, ohne ihren Charakter zu verlieren, auf so vielen Ebenen unterschiedlichste Menschen anspricht. Mikis ist daher zu Recht einer der bedeutendsten Melodiker des 20. Jahrhunderts genannt worden. Guy Wagner hat ein Bonmot geprägt: Mikis ist ein größerer Komponist als
Beethoven; man kannes sogar beweisen: denn wo Beethoven noch vier Töne brauchte, um Unsterblichkeit zu erlangen, brauchte Theodorakis nur zwei: ta tam! Mikis – herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!